Schulen als Orte der institutionellen Diskriminierung

Mit der Einführung der Deutschförderklassen und Lehrveranstaltungen an der Universität ist mir die institutionelle Diskriminierung unseres Schulsystems so richtig bewusst geworden. Trotz ständigem Hinterfragen und Reflektieren in der täglichen Arbeit habe auch ich das System seit Maria Theresia so stark internalisiert, dass die erhöhte Sensibilisierung erst mit den Deutschförderklassen zutage kam.

Deutschförderklassen sind eine Weiterentwicklung der “Ausländerklassen” von damals. Sie dienen der Konstruktion eines “Wir und den Anderen” in einer perfiden Art und Weise. Von rechtskonservativen Politiker*innen wird diese Form der Beschulung als positive, für die Kinder dienliche Maßnahme verkauft. Auf den ersten Blick ist diese Sichtweise sogar zutreffend. Gehen wir aber in die Tiefe, so erkennen wir verschiedenste Formen der intersektionalen Diskriminierung.

Schüler*innen kommen dann in die Deutschförderklassen, wenn sie der Unterrichtssprache nicht folgen können. Dies wird mit dem “neu- entwickelten und standardisierten MIKA-D Test” ermittelt, der die Norm abbilden soll. Dieser Test ist streng geheim und darf nur von ausgebildeten Personen durchgeführt werden. (Anm.: Über diesen Test und den Ablauf könnte ein eigener Kommentar geschrieben werden). Nach der Überprüfung der Kinder (6-14 Jahre) wird der Status ermittelt. Ordentliche Schüler*innen können demnach der “Unterrichtssprache” folgen, außerordentlich Schüler*innen nicht. Bei 8 Schüler*innen mit außerordentlichen Status muss an einem Schulstandort eine Deutschförderklasse eingerichtet werden. Diese mindestens 8 Schüler*innen sind in den Kreativ- und Sportfächern in ihrer Stammklasse an Volksschulen, die restliche Zeit, mindestens dreiviertel der Wochenstunden in der Deutschförderklasse. Das bedeutet, dass diese Kinder jedenfalls zwei statt einer Bezugsgruppe in ihrem Schulalltag haben. Die der Stammklasse und mit ihren außerordentlichen Kolleg*innen in der altersgemischten Deutschförderklasse. Hier wird die erste Form der institutionellen Diskriminierung sichtbar. Die Entwicklung einer Peergroup, das Pflegen und Schließen von Freundschaften in einer der bedeutendsten Entwicklungsphasen wird durch den Gesetzgeber mutwillig erschwert. Ein “Wir und die Anderen” (fachsprachlich Othering) wird konstruiert und die gesellschaftliche Integration verhindert. Hinzu kommt ein monolinguales Dogma. Menschen, die in Österreich nicht “ausreichend” Deutsch sprechen werden abgewertet. Warum können wir Mehrsprachigkeit nicht unterstützen und fördern? Warum wird die Unterrichtssprache, wie auch in internationalen Business Schools, nicht verändert? Genau, weil es nicht um das Kind und seine Stärken geht, sondern darum Personengruppen institutionell schlechter zu stellen.

Im aktuellen Regierungsprogramm ist zumindest davon die Rede, Schulen autonomer entscheiden zu lassen. Ob hier die Schere wieder breiter wird, kann nicht abgeschätzt werden. Eines ist aber gewiss: Diese offensichtliche Diskriminierung gegen bestimmte Personengruppen sucht seinesgleichen.

Als weiteren Punkt des Othering möchte ich die aktuell aufflammende Notendebatte heranziehen. Die Trennung der Schüler*innen mit 10 Jahren schlägt mit Abweichungen in dieselbe Kerbe. Der Unterschied ist, dass es hier nicht um Kinder mit Deutsch als Zweitsprache geht, sondern um sozioökonomisch benachteiligte Gruppen unserer Gesellschaft. Hier werden Menschen, die sozial, ökonomisch vielleicht auch gesundheitlich in einer schwierigen Situation sind, institutionell benachteiligt. Die Trennung mit 10 Jahren und die einhergehende Notenhysterie, um das eigene Kind in der AHS unterzukriegen nimmt unvorstellbare Dimensionen an. Eltern, die es sich leisten können, präsent in der Schule zu sein, ein Vertrauensverhältnis mit den Pädagog*innen aufzubauen und vielleicht sogar noch Nachhilfe für ihr 9-jähriges Kind zu finanzieren sind massiv im Vorteil. Diese Trennung ist genau so wie die Deutschförderklassen, darauf ausgerichtet “gute und schlechte” Menschen zu produzieren. Auch hier gilt: Es gibt keinen pädagogischen Grund, diese Trennung vorzunehmen. Wir könnten sofort mindestens bis 12, besser noch bis 15 Jahren eine gemeinsame Volksschule entwickeln und umsetzen.

Mit diesen beiden Beispielen sollte zumindest ein Denkanstoß über die institutionelle Macht der Schule angeregt werden. Eine Regierung kann sich dazu entschließen einzelne Personengruppen institutionell zu Diskriminierung, aber der Transparenz wegen wäre es fair dies auch genau so zu kommunizieren. 

Uns fehlen leider seit einem Jahrhundert die Visionen. Wo sind die Bildungsreformer*innen des 21. Jahrhunderts? Wo sind die mutigen jungen und alten Menschen, die eine Vorstellungskraft der Schule von morgen haben. Wo sind die Politiker*innen, die auch an den großen Schrauben drehen und die eigenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse hinterfragen?

Wir brauchen eine strukturelle Zerschlagung des Systems. Wir brauchen Rahmenbedingungen für die Schulstandorte, bei denen sie zeitnah und individuell auf die Kinder eingehen können. Wir brauchen ein Bekenntnis gegen strukturelle Benachteiligung einzelner Gruppen.

Liebe Bildungspolitiker*innen, lasst uns über eure Macht- und Herrschaftsverhältnisse reden. Vermeiden wir gemeinsam, institutionelle Diskriminierung um der Bildungsvererbung entgegenzuwirken und jedem Kind eine Chance auf ein gutes Leben ermöglichen zu können.

1 Schuljahr vong Abwechslung her

​Endlich unterrichtsfrei. Zeit für ein paar Gedanken über den Lehreralltag. Und Zeit, Mut zuzusprechen

Ich hätte nie gedacht, dass die Tage nach der Austeilung der Zettel mit Bundesadler und Rundsiegel die schlimmsten des ganzen Jahres sind. Es ist eine Achterbahnfahrt zwischen Freude und Depression. Das gesamte Schuljahr donnert wie ein Zeitraffer vor deinen Augen, die Nächte sind kürzer als sonst, und eigentlich bist du gedanklich schon wieder im nächsten Schuljahr. In Wirklichkeit bist du „krank“, weil dir die ganzen Ereignisse, die Schicksale der Kinder und Jugendlichen, die bildungspolitische Zähigkeit, der ständige Rassismus und die Diskriminierung unterschiedlichster Menschen, denen die Schülerinnen und Schüler ausgesetzt sind, einfach nur auf den Sack gehen. Eigentlich willst du schon wieder raus aus dem System.

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#PokémonGO:

Möglicherweise eines der medienpädagogischen Phänomene dieser Zeit und kein*e Pädagog*in spricht darüber?

Zahlreiche Menschen rund um den Globus verfolgen in der realen Welt virtuelle Monster. Das #PokemonGo Fieber ist ausgebrochen. Bernhard Lahner reflektiert für die LeserInnen der MEDIENIMPULSE seine Spielerfahrungen und mögliche pädagogische Bezüge.

Im Sommer 2015 legt Niantic mit 150 Figuren von A wie Abra bis Z wie Zubat neue Maßstäbe bei Augmented-Reality-Spielen. Niantic war 2012 mit Ingress als erstes AR-Spiel auch erfolgreich, konnte aber bei weitem nicht den heutigen #PokémonGo Hype auslösen.

ZukunftsforscherInnen, KritikerInnen, Spielfans und belästigte AnrainerInnen kamen in den letzten Wochen medial zu Wort und äußerten sich. Aber warum gab es keine Stimmen von (Medien-)PädagogInnen? Gibt es überhaupt eine medienpädagogische Relevanz dieses Spiels und kann #PokémonGo auch im Schulalltag integriert werden? Gibt es Lerneffekte oder werden Sozial-, Medien-, Sprachkompetenzen, etc. verbessert oder entwickelt? Ich glaube ja, ohne es im Moment wissenschaftlich belegen zu können. Forschungsanstrengungen in diesem Bereich wären jedenfalls zu befürworten.

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